Da stehen sie nun, die Revolutionäre vom Maidan, die Gesichter noch schwarz vom Ruß, die Helme verbeult von den Schlägen der Polizei, und blicken nach vorn, auf das eiserne Tor mit den goldenen Verzierungen - die Pforte zu Präsident Wiktor Janukowitsch s Residenz Meschigorje.
Vor wenigen Tagen noch hat die Polizei ein paar Mutige verhaftet, die in Meschigorje demonstrieren wollten. Seit der Präsident aber das Abkommen in Kiew unterschrieben hat, gibt es in Kiew keine Polizei mehr. Zumindest zeigt sie sich nirgendwo, nicht im Regierungsviertel, nicht vor dem herrschaftlichen Anwesen, 25 Kilometer vor Kiew.
In Meschigorjestehen die Autos Stoßstange an Stoßstange. Zehntausende Bürger strömen zur Residenz. Die Sicherheitskräfte haben die Gebäude an die paramilitärisch organisierte Maidan-Wache übergeben. Das bringt die neuen Herren von Kiew in eine ungewohnte Situation: Vorgestern lieferten sie sich noch mit der Staatsmacht Gefechte, jetzt müssen sie selbst für Ordnung sorgen.
Die Maidan-Wache will nur Einzelne durchlassen. Sie warnt, es gäbe womöglich Scharfschützen auf dem Gelände und Sprengfallen. Die Menge lacht und kündigt an, "das Tor gleich aus den Angeln zu reißen". Die Wache knickt ein mit dem Hinweis, bitte nicht auf dem Rasen herumzutrampeln, "wir sind schließlich ein europäisches Land". Auf einem handgemalten Schild steht: "Herzlich willkommen im Volksmuseum der Korruption."
In den Augen der Demonstranten verkörpert Meschigorje die verhasste Staatsmacht wie kein zweiter Ort. Janukowitsch hat das 140-Hektar-Anwesen erst auf Staatskosten renovieren lassen und dann privatisiert. Die Datscha wurde verkauft an Firmen, die in London und Wien residieren und hinter denen wohl niemand anderes steht als Janukowitsch selbst.
Protz in einem Land am Rande der Pleite
Die Sieger des Maidan spazieren vorbei am Marmor-verzierten Gästehaus, einem Pavillon mit römischen Säulen. Sie laufen weiter zum Golfplatz, dem Schwimmbad und dem Yachthafen. Das Gelände fällt sanft ab hin zum Ufer des Dnjepr, am Fluss liegt ein Schiff, das einer spanischen Galeone nachempfunden ist. Der Präsident lud hier gern zu Banketten. Im herrschaftlichen Landhaus stehen schwere Ledermöbel auf edlem Parkett. Die Wand schmückt italienische Landschaftsmalerei. Die Residenz ist etwas protzig geraten für ein Land am Rande der Pleite.
Nur wenig aber erinnert daran, dass Meschigorje noch vor wenigen Tagen Zufluchtsort eines bedrängte Präsidenten war. Die Residenz wurde offenbar nicht fluchtartig aufgegeben, sondern gewissenhaft von Spuren und Dokumenten gereinigt. Die Gebäude sind steril wie ein bezugsfertiges Hotelzimmer.
Hinter einem Haus stoßen Besucher auf USB-Sticks und geschredderte Dokumente. Die Maidan-Wache stellt einen Posten auf, das Material soll später ausgewertet werden. Im Dnjepr schwimmen Papiere, bei denen es sich offenbar um Abrechnungen von Janukowitschs schwarzen Kassen handelt, die im Fluss versenkt werden sollten.
Im Boden des Sauna-Hauses haben die Architekten einen riesigen Bade-Kessel eingelassen. Er wird durch einen Holzofen beheizt. "Da hätten wir Janukowitsch gut drin kochen können", scherzt ein Besucher. Doch es herrscht keine Pogromstimmung, sondern eine Atmosphäre wie bei einem Volkswandertag. Wer an einer Tür rüttelt, weil er sich Zugang verschaffen will zum Inneren der Residenz wird umgehend von anderen Besuchern zurecht gewiesen. Familien mit kleinen Kindern laufen vorbei an Gehegen mit Fasanen aus China. Sie sagen: "Warum sollten wir plündern wollen, was uns gehört? Janukowitsch kommt hier niemals hierher zurück."
Damit könnten sie recht haben. Janukowitsch meldete sich zwar mit einer Fernsehansprache zu Wort. Er verurteilte den "Staatsstreich" der Opposition und sagte, er habe nicht vor, zurückzutreten. Kurz darauf aber erklärte das Parlament den Staatschef für abgesetzt. Er habe sich widerrechtlich Vollmachten angeeignet, erklärten die Abgeordneten. 328 Parlamentarier stimmten für den Beschluss. Dann sangen sie die Nationalhymne.
Ein Rechtsradikaler gibt sich zahm
Ein Abgeordneter der Opposition inspiziert die Residenz. Eduard Leonow war Kommandeur des besetzten Kiewer Rathauses, er trug Springerstiefel und Tarnfleck. Er gehört der nationalistischen Swoboda-Partei an.
Im Oktober hat Leonow sich im Parlament mit einem Kollegen fotografieren lassen, beide hielten Garderobenmarken der Parlamentskleiderkammer in die Kamera, der eine die Heil-Hitler 88, der andere die 14, einen weiteren Code radikaler Rassisten. Er steht für den englischen 14-Worte Slogan "Wir müssen die Existenz unseres Volkes sichern und die Zukunft weißer Kinder."
Jetzt gibt sich Leonow ganz zahm. Er hat sich ein Jackett übergeworfen. Wie die Opposition das Gelände in Zukunft zu verwenden gedenke? "Wir werden ein Sanatorium für behinderte Kinder einrichten", sagt er.
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